Erbrecht und Pflichtteil Geschwister
Haben Geschwister Anspruch auf den Pflichtteil?
Immer wieder wird gefragt, ob Geschwister einen Anspruch auf einen Pflichtteil haben. Die Antwort ist klar: Nein, Geschwister sind nicht pflichtteilsberechtigt. Der Pflichtteil steht laut österreichischem Pflichtteilsrecht ausschließlich Ehegatten und leiblichen Nachkommen zu, also Kindern, und wenn diese vorverstorben sind, deren Kindern – den Enkelkindern.
Was ist der Pflichtteil?
Der Pflichtteil ist ein Mindestanteil am Nachlass, der bestimmten nahen Angehörigen unabhängig vom Testament zusteht. Er dient dem Schutz besonders enger familiärer Beziehungen. In Österreich beträgt der Pflichtteil die Hälfte des gesetzlichen Erbteils. Das bedeutet: Zunächst muss der gesetzliche Erbanteil ermittelt werden. Davon steht dem Pflichtteilsberechtigten die Hälfte zu.
Beispiel:
Der Erblasser hinterlässt ein Kind und einen Ehepartner. Im Testament wird der Ehepartner als Alleinerbe eingesetzt und das Kind ansonsten nicht erwähnt. Das Kind wäre nach der gesetzlichen Erbfolge zu 2/3-tel erbberechtigt. Der Pflichtteil beträgt die Hälfte des gesetzlichen Erbrechtes und beläuft sich daher auf 1/3-tel des Nachlasses.
Pflichtteil für Geschwister – häufige Missverständnisse
Das Pflichtteilsrecht betrifft nur die engsten Familienangehörigen. Geschwister, auch wenn sie nahe stehen, zählen rechtlich nicht dazu.
Vor dem Jahr 2017 war es möglich, dass Geschwister über den Pflichtteilsanspruch eines Elternteils (wenn dieser vorverstorben war) indirekt profitierten. Seit dem Inkrafttreten des Erbrechts-Änderungsgesetzes am 1.1.2017 sind nur noch Ehegatten und Nachkommen pflichtteilsberechtigt. Geschwister sind somit nicht anspruchsberechtigt – auch nicht indirekt über die Eltern, deren Pflichtteilsrecht ebenfalls mit der Reform abgeschafft wurde.
Was ist der Unterschied zwischen Erbfolge und Pflichtteil?
Die gesetzliche Erbfolge tritt ein, wenn es kein Testament oder keinen Erbvertrag gibt. Sie bestimmt, wer wie viel vom Nachlass erhält – basierend auf der Reihenfolge der Verwandtschaftsverhältnisse.
Der Pflichtteil hingegen ist eine gesetzliche Mindestbeteiligung bestimmter Personen am Nachlass – auch gegen den Willen des Erblassers, wenn diese Personen im Testament übergangen wurden.
Wie ist die gesetzliche Erbfolge für Geschwister geregelt?
Die gesetzliche Erbfolge für Geschwister kommt zur Anwendung, wenn keine Erben der 1. Ordnung (Kinder, Enkel) vorhanden sind.
Die Reihenfolge ist wie folgt geregelt:
- Ordnung: Nachkommen (Kinder, Enkel)
- Ordnung: Eltern und deren Nachkommen (also Geschwister, Neffen, Nichten)
- Ordnung: Großeltern und deren Nachkommen (Onkel, Tanten, Cousins, Cousinen)
Geschwister sind Erben der 2. Ordnung. Wenn kein Ehegatte, keine Kinder und kein Elternteil mehr lebt, erben die Geschwister. Existiert noch ein Elternteil, teilen sich dieser und die Geschwister den Nachlass. Die Hälfte, die dem verstorbenen Elternteil gebührt hätte, wird unter den Geschwistern aufgeteilt.
Wie werden Halbgeschwister beim Erbe berücksichtigt?
Halbgeschwister zählen ebenfalls zu den Erben der 2. Ordnung, jedoch nur auf der Seite des gemeinsamen Elternteils.
Beispiel: Stirbt der Vater, so hat ein Halbgeschwisterkind (mit anderer Mutter) auf väterlicher Seite einen Erbanspruch. Auf mütterlicher Seite jedoch nicht. Die Erbquote wird entsprechend angepasst, je nachdem, wie viele Geschwister bzw. Halbgeschwister existieren.
Das Erbrecht für Geschwister untereinander ist demnach etwas komplexer und bedarf einer genaueren Prüfung.
Beispiele zur gesetzlichen Erbfolge der Geschwister ?
Beispiel 1 – kein Erbrecht der Geschwister
Der Erblasser hinterlässt einen Ehepartner und zwei Kinder. Es gibt kein Testament und gilt die gesetzliche Erbfolge. Der Ehepartner erhält 1/3-tel und die Kinder erhalten jeweils 1/3-tel. Die Geschwister haben keinen Anspruch auf das Erbe, weil Erben der 1. Ordnung vorhanden sind.
Beispiel 2 – Erbrecht der Geschwister
Die Erblasserin hinterlässt keinen Ehepartner und keine Kinder oder Enkel. Ihr Vater ist verstorben, ihre Mutter lebt noch. Sie hat drei Geschwister. Die Geschwister haben einen Anspruch auf das Erbe. Die Mutter erhält die Hälfte des Erbes und die Hälfte des vorverstorbenen Vaters wird auf die Geschwister aufgeteilt und jeder erhält 1/6.
Beispiel 3 – kein Erbrecht der Geschwister
Der Erblasser hinterlässt einen Elternteil (die Mutter lebt, der Vater ist vorverstorben), zwei Geschwister und einen Ehepartner, aber keine Kinder oder Enkel. Die Mutter hat einen Anspruch auf 1/6-tel des Nachlasses. Der Ehepartner hat einen Anspruch auf die restlichen 5/6-tel des Nachlasses. Die Geschwister erben nach neuem Erbrecht nichts, da der Erbteil des vorverstorbenen Vaters seit 1.1.2017 nunmehr nicht mehr den Geschwistern, sondern dem überlebenden Ehepartner zufällt.
Beispiel 4 – Erbrecht der Geschwister
Der Erblasser hinterlässt einen Bruder und eine Schwester, aber weder Ehepartner noch Kinder, Enkel oder Eltern. Die Geschwister haben als Erben zweiter Ordnung jeweils einen Anspruch auf die Hälfte des Erbes.
Wem welche Erbquote zukommt, wird im Verlassenschaftsverfahren durch den Gerichtskommissär, einem durch die Verteilungsordnung festgesetzten Notar bzw. Notarin, ermittelt und im Einantwortungsbeschluss des zuständigen Bezirksgerichtes festgehalten.
Erbverzicht und Enterbung
Ein Erbverzicht ist eine freiwillige vertragliche Vereinbarung, bei der ein gesetzlicher Erbe auf sein künftiges Erbrecht verzichtet. Dies ist z. B. oft im Rahmen einer vorweggenommenen Erbfolge (etwa bei Übergabe eines Unternehmens oder einer Liegenschaft) der Fall. Auch Geschwister können auf ihr gesetzliches Erbrecht verzichten, etwa zugunsten anderer Verwandter.
Eine Enterbung hingegen ist ein einseitiger Akt durch den Erblasser im Testament. Da Geschwister aber keinen Pflichtteilsanspruch haben, müssen sie nicht enterbt werden, um vom Erbe ausgeschlossen zu werden – es reicht, sie nicht zu erwähnen.
Die Rolle der Verlassenschaft im Erbrecht der Geschwister
Die Verlassenschaft ist der gesamte Nachlass einer verstorbenen Person. Im Zuge des Verlassenschaftsverfahrens wird vom Gerichtskommissär (Notar) geprüft, wer als Erbe in Betracht kommt, ob es ein Testament gibt, und wie die Erbquote verteilt wird.
Der Einantwortungsbeschluss ist das gerichtliche Dokument, das die Erben als rechtmäßige Eigentümer des Nachlasses bestätigt.
Für Geschwister, die keine Pflichtteilsberechtigung haben, ist daher entscheidend, ob:
- ein Testament existiert
- keine Erben der 1. Ordnung vorhanden sind
- kein Ehepartner lebt
Nur dann kommt es im Verlassenschaftsverfahren zu einer Berücksichtigung.
Kann ich meine Geschwister enterben?
Ja – allerdings ist das meist nicht notwendig, da Geschwister keine Pflichtteilsberechtigung haben. Um sicherzugehen, dass sie nicht erben, kann man:
- Ein Testament errichten und andere Personen oder Institutionen als Erben einsetzen
- Ein negatives Testament verfassen, in dem bestimmte Personen vom Erbe ausgeschlossen werden
Ein negatives Testament schafft klare Verhältnisse und beugt Streitigkeiten vor.
Wie kann ein Anwalt für Erbrecht helfen ?
Da Geschwister grundsätzlich keinen Anspruch auf einen Pflichtteil haben, kommen sie nur dann als Erben in Frage, wenn sie in einem Testament ausdrücklich bedacht werden oder wenn sich ihre Erbrechtsstellung aufgrund der Familiensituation ergibt.
Als auf Erbrecht spezialisierte Anwältin kann ich Sie in vielfältiger Weise unterstützen:
- Prüfung der Erbrechtsstellung von Geschwistern im konkreten Fall
- Beratung zur Errichtung eines Testaments
- Unterstützung bei Erbverzichtsvereinbarungen
- Durchsetzung von Ansprüchen im Verlassenschaftsverfahren
- Vertretung bei Erbstreitigkeiten
Wenn Sie sich unsicher sind, wie Ihre individuelle Familiensituation das Erbrecht Ihrer Geschwister beeinflusst, oder wenn Sie ein Testament erstellen möchten, berate ich Sie gerne in einem Erstgespräch.
Schreiben Sie ein E-Mail an office@kanzlei-rauf.at oder rufen Sie mich einfach direkt unter +43 664 925 5245 an. Sie können natürlich auch das Kontaktformular auf meiner Website nutzen.