Das österreichische Verlassenschaftsverfahren
1. Was passiert nach einem Todesfall mit dem Nachlass?
Nach dem Tod einer Person muss deren gesamtes Vermögen – die sogenannte Verlassenschaft – in einem gesetzlich geregelten Verfahren an die rechtmäßigen Erben übergeben werden. Dieses Verlassenschaftsverfahren (auch Verlassenschaftsabhandlung genannt) stellt sicher, dass der letzte Wille des Verstorbenen respektiert, die Rechte aller Beteiligten (wie Erben, Pflichtteilsberechtigte und Gläubiger) geschützt und das Vermögen samt Schulden ordnungsgemäß aufgeteilt wird. Der gesamte Ablauf des Verlassenschaftsverfahrens in Österreich wird von einem vom Gericht bestellten Notar als Gerichtskommissär begleitet.
2. Wer ist am Verlassenschaftsverfahren beteiligt?
Das Verfahren wird vom zuständigen Bezirksgericht eingeleitet, sobald dieses vom Todesfall erfährt. Das Gericht beauftragt einen Notar als Gerichtskommissär, der das Verfahren neutral und objektiv leitet. Folgende Personen sind typischerweise beteiligt:
- Erben: Das sind jene Personen, die aufgrund eines Testaments, eines Erbvertrags oder der gesetzlichen Erbfolge Anspruch auf den Nachlass haben. Auch wenn ein Testament vorliegt, werden die gesetzlichen Erben über das Verfahren informiert.
- Pflichtteilsberechtigte: Die engsten Angehörigen (Kinder und Ehepartner/eingetragene Partner) haben auch dann einen Anspruch, wenn sie im Testament nicht bedacht wurden. Ihr Pflichtteilsanspruch ist ein reiner Geldanspruch.
- Vermächtnisnehmer: Personen, die laut Testament einen bestimmten Gegenstand (z. B. ein Auto, ein Schmuckstück) oder einen Geldbetrag erhalten sollen, ohne Erben zu sein.
- Gläubiger: Personen oder Unternehmen, die offene Forderungen gegenüber dem Verstorbenen haben.
Wichtiger Hinweis: Wer zu Lebzeiten in einem Notariatsakt auf sein Erbe oder seinen Pflichtteil verzichtet hat (Erbverzicht), wird im Verfahren nicht mehr berücksichtigt. Die korrekte Verständigung aller bekannten Beteiligten ist entscheidend, da das Verfahren andernfalls für ungültig erklärt werden könnte.
3. Erbschaft annehmen oder ausschlagen? Die Erbantrittserklärung
Niemand wird gezwungen, eine Erbschaft anzutreten. Um Erbe zu werden, müssen Sie eine Erbantrittserklärung abgeben. Hier gibt es zwei grundlegende Optionen mit weitreichenden Konsequenzen für Ihre Haftung für Schulden:
- Unbedingte Erbantrittserklärung: Sie treten das Erbe vollumfänglich an. Vorsicht: Sie haften persönlich und unbeschränkt mit Ihrem gesamten Privatvermögen für alle Schulden des Verstorbenen, auch für solche, die erst später bekannt werden. Diese Option ist nur ratsam, wenn die Vermögenslage zu 100 % klar und der Nachlass definitiv nicht überschuldet ist.
- Bedingte Erbantrittserklärung: Ihre Haftung wird auf den Wert der Verlassenschaft beschränkt. Sie haften also nur mit dem, was Sie erben, nicht aber mit Ihrem Privatvermögen. Dafür ist die Errichtung eines offiziellen Inventars durch den Notar zwingend vorgeschrieben.
Die Erbschaft ausschlagen (Entschlagung): Wenn Sie sicher sind, dass der Nachlass überschuldet ist oder Sie aus anderen Gründen nichts erben möchten, können Sie die Erbschaft ausschlagen. Damit haben Sie mit dem weiteren Verfahren und den Schulden nichts mehr zu tun.
Achtung: Eine einmal abgegebene Erklärung ist unwiderruflich! Überlegen Sie sich diesen Schritt gut. Lassen Sie sich zuvor jedenfalls rechtlich beraten, wenn Sie unsicher sind.
4. Was passiert bei Erbenstreitigkeiten?
Wenn es zu Konflikten kommt – zum Beispiel weil mehrere, sich widersprechende Testamente existieren, die Gültigkeit eines Testaments angezweifelt wird oder unklar ist, wer erbberechtigt ist – wird das Verlassenschaftsverfahren unterbrochen. Das Gericht entscheidet dann in einem separaten Erbrechtsfeststellungsverfahren (einem Zivilprozess), wem das Erbrecht zusteht. Ein solcher Erbenstreit kann das Verfahren erheblich verzögern und hohe Kosten verursachen. Eine frühzeitige anwaltliche Beratung ist daher oft der beste Weg, um Konflikte zu deeskalieren oder von vornherein zu vermeiden. Als auf Erbrecht spezialisierte Kanzlei beraten wir Sie hierzu gerne, um Ihre Interessen bestmöglich zu wahren.
5. Verwaltung und Vertretung der Verlassenschaft
Bis zur Einantwortung (der offiziellen Übergabe) darf über den Nachlass nicht eigenmächtig verfügt werden. Die Verwaltung ist klar geregelt:
- Erben mit Erbantrittserklärung: Sobald Erben eine (zumindest bedingte) Erbantrittserklärung abgegeben haben, dürfen sie die Verlassenschaft gemeinsam verwalten.
- Verlassenschaftskurator: Gibt es keine bekannten Erben, sind diese zerstritten oder können dringende Verwaltungsmaßnahmen (z. B. die Kündigung eines Mietvertrags) nicht von den Erben durchgeführt werden, bestellt das Gericht einen Verlassenschaftskurator. Dieser vertritt den Nachlass, sichert das Vermögen und sucht nach potenziellen Erben.
Wichtig: Der Gerichtskommissär (Notar) verwaltet die Verlassenschaft nicht selbst. Er leitet das Verfahren, erhebt die Vermögenswerte und unterstützt die Parteien, handelt aber nicht als Vertreter des Nachlasses.
6. Vermögenserklärung oder Inventar: Was gehört zum Nachlass?
Um den Umfang des Nachlasses festzustellen, muss das Vermögen erfasst werden:
- Vermögenserklärung: Bei einer unbedingten Erbantrittserklärung geben die Erben gemeinsam eine Erklärung über alle Vermögenswerte (z. B. Konten, Immobilien, Fahrzeuge) und Schulden ab. Diese Erklärung wird vom Notar nicht auf ihre Richtigkeit überprüft, muss aber nach bestem Wissen und Gewissen erfolgen.
- Inventar: Bei einer bedingten Erbantrittserklärung (oder in bestimmten gesetzlichen Fällen, etwa bei minderjährigen Erben oder wenn der Staat erbt) wird durch den Notar ein offizielles Inventar errichtet. Dabei werden alle Vermögensgegenstände und Schulden exakt erfasst und von Sachverständigen bewertet. Dies bietet den Erben Sicherheit, da ihre Haftung auf die im Inventar ausgewiesenen Werte beschränkt ist.
Hinweis: Die Erstellung eines Inventars ist mit zusätzlichen Kosten verbunden (z. B. für den Notar und Sachverständige), bietet aber einen Schutz vor unentdeckten Schulden.
7. Die Gläubigeraufforderung (Gläubigerkonvokation)
Die Gläubigeraufforderung (auch Gläubigerkonvokation genannt) ist ein entscheidender Schritt, um einen vollständigen Überblick über die Schulden des Verstorbenen zu erhalten und die Erben vor überraschenden Forderungen zu schützen.
Wann findet eine Gläubigeraufforderung statt?
- Automatisch und verpflichtend: Wenn Sie eine bedingte Erbantrittserklärung abgeben, ist die Aufforderung der Gläubiger ein fester und notwendiger Bestandteil des Verfahrens. Dies dient dazu, die mit der bedingten Haftung verbundene Sicherheit zu maximieren.
- Auf Antrag: Auch in anderen Fällen, in denen ein Inventar erstellt wird, kann der Erbe oder der Verlassenschaftskurator jederzeit eine Gläubigeraufforderung beantragen. Aufgrund der großen Vorteile ist dies fast immer zu empfehlen.
Wie läuft das ab und was ist der wichtigste Vorteil für Sie als Erbe?
Der Gerichtskommissär erlässt eine öffentliche Bekanntmachung (ein Edikt), in der alle Gläubiger aufgefordert werden, ihre Forderungen innerhalb einer angemessenen Frist – in der Praxis oft fünf bis acht Wochen – anzumelden.
Der entscheidende Vorteil liegt in der Wirkung dieses Aufrufs: Gläubiger, die ihre Forderung nicht fristgerecht anmelden, haben keinen weiteren Anspruch gegen die Verlassenschaft, wenn diese durch die Bezahlung der pünktlich angemeldeten Schulden bereits erschöpft ist. Sie als Erbe sind somit vor „Nachzüglern“ geschützt.
Was passiert, wenn Sie eine Forderung nicht anerkennen?
Bestreiten die Erben eine angemeldete Forderung und es kommt zu keiner Einigung, wird dieser Streit nicht im Verlassenschaftsverfahren entschieden. Dem Gläubiger bleibt es überlassen, seine Forderung über den Klageweg durchzusetzen. Die angemeldeten und anerkannten Schulden werden im Inventar erfasst, um ein möglichst vollständiges Bild über die Verbindlichkeiten zu erhalten.
8. Nachweise zur Erlangung der Erbschaft
Bevor die Verlassenschaft übergeben werden kann, müssen die Erben ihren Anspruch nachweisen:
- Erbrechtsnachweis: Je nach Fall ist das ein gültiges Testament, ein Erbvertrag oder der Nachweis der Verwandtschaft durch Urkunden (Geburtsurkunden, Heiratsurkunden) bei der gesetzlichen Erbfolge.
- Wurden im Testament Bedingungen, Auflagen oder Vermächtnisse festgelegt, sind für die Einantwortung der Verlassenschaft an den Erben unterschiedliche Nachweise erforderlich:
- Bei Bedingungen: Ist der Erwerb eines Rechts (z. B. der Erbschaft selbst) an eine aufschiebende Bedingung geknüpft, muss der Eintritt dieser Bedingung nachgewiesen werden. Erst dann wird die Rechtsfolge wirksam, und das zugedachte Recht kann erworben werden. Die Beweislast hierfür liegt bei der Person, die aus der Bedingung einen Vorteil zieht. Der Nachweis erfolgt im Verlassenschaftsverfahren und kann durch verschiedene Beweismittel erbracht werden, die dem Gerichtskommissär vorgelegt werden :
- Urkunden: Öffentliche Urkunden wie Abschlusszeugnisse, behördliche Genehmigungen oder Meisterbriefe haben eine besonders hohe Beweiskraft. Aber auch private Urkunden, wie Verträge, Bestätigungen oder sogar Kopien und Scans, können als Beweis dienen.
- Zeugen: Personen, die den Eintritt der Bedingung aus eigener Wahrnehmung bezeugen können, können im Verfahren einvernommen werden.
- Sachverständige: Ist zur Klärung besonderes Fachwissen nötig (z. B. ein medizinisches Gutachten), wird ein Sachverständiger bestellt.
- Augenschein: Auch die direkte Besichtigung eines Ortes oder Gegenstandes durch den Gerichtskommissär kann als Beweis dienen.
- Urkunden: Öffentliche Urkunden wie Abschlusszeugnisse, behördliche Genehmigungen oder Meisterbriefe haben eine besonders hohe Beweiskraft. Aber auch private Urkunden, wie Verträge, Bestätigungen oder sogar Kopien und Scans, können als Beweis dienen.
- Bei Vermächtnissen und Auflagen: Die Erfüllung von Vermächtnissen (Legaten) oder Auflagen ist grundsätzlich keine Voraussetzung für die Einantwortung. Das Gesetz verlangt für den Abschluss des Verfahrens lediglich den Nachweis, dass die Berechtigten (z. B. Vermächtnisnehmer) über ihre Ansprüche verständigt wurden. Der Erbe übernimmt die Verlassenschaft und ist erst danach verpflichtet, diese Forderungen zu erfüllen. Der Vermächtnisnehmer muss seinen Anspruch notfalls mittels Klage gegen den Erben durchsetzen. Eine Ausnahme besteht für schutzbedürftige Personen, für deren noch offene Ansprüche Sicherheit zu leisten ist.
- Sicherung von Pflichtteilen: Sind minderjährige oder schutzbedürftige Personen pflichtteilsberechtigt, muss deren Anspruch sichergestellt (z. B. auf einem Sperrkonto hinterlegt) werden.
9. Die Erbengemeinschaft und die Erbteilung
Gibt es mehrere Erben, bilden diese eine Erbengemeinschaft. Ihnen gehört der Nachlass gemeinsam, und sie können nur einstimmig darüber verfügen. Die Aufteilung erfolgt idealerweise durch ein Erbteilungsübereinkommen, in dem die Erben schriftlich festhalten, wer was konkret erhält.
Bei Uneinigkeit: Können sich die Erben nicht einigen, kann jeder Erbe eine Erbteilungsklage bei Gericht einbringen, um seine Vorstellung einer Teilung durchzusetzen. Dies kann im schlimmsten Fall dazu führen, dass Vermögenswerte, insbesondere Immobilien, gerichtlich versteigert werden müssen, was oft zu finanziellen Verlusten für alle Beteiligten führt.
Als spezialisierte Kanzlei für Erbrecht beraten wir Sie umfassend zu rechtlich möglichen und wirtschaftlich sinnvollen Lösungen einer Erbteilung. Unser Ziel ist die Vermeidung kostenintensiver gerichtlicher Auseinandersetzungen. Sollte jedoch ein Kampf unvermeidlich sein, setzen wir Ihre Interessen entschlossen und kompromisslos durch.
10. Pflichtteilsansprüche durchsetzen
Pflichtteilsberechtigte (Nachkommen und Ehepartner), die nicht oder zu wenig im Testament bedacht wurden, haben einen reinen Geldanspruch in der Höhe der Hälfte ihres gesetzlichen Erbteils.
- Eine gütliche Einigung (Pflichtteilsübereinkommen) kann bereits im Verlassenschaftsverfahren erzielt und protokolliert werden.
- Wird der Anspruch von den Erben nicht freiwillig erfüllt, müssen volljährige Pflichtteilsberechtigte diesen nach Abschluss des Verfahrens mit einer Pflichtteilsklage gerichtlich einfordern. Hierfür gilt eine Frist von drei Jahren ab Fälligkeit des Anspruches. Da der Pflichtteilsanspruch 1 Jahr ab dem Todestag zur Zahlung fällig ist, beträgt die Verjährungsfrist insgesamt 4 Jahre ab dem Todestag.
11. Die Einantwortung: Der offizielle Abschluss
Die Einantwortung ist der finale Rechtsakt des Verfahrens. Mit dem Einantwortungsbeschluss des Gerichts geht das Eigentum des Verstorbenen offiziell auf die Erben über.
- Dieser Beschluss ist die Voraussetzung für die
Eintragung im Grundbuch bei Immobilien, die Ummeldung von Fahrzeugen oder die Auflösung von Bankkonten.
- Ab diesem Zeitpunkt haften die Erben persönlich für die Schulden des Verstorbenen – bei einer bedingten Erbantrittserklärung jedoch nur bis zur Höhe des übernommenen Vermögens.
12. Dauer und Kosten des Verlassenschaftsverfahrens
Dauer: Ein einfaches Verfahren ohne Streitigkeiten und mit klaren Vermögensverhältnissen dauert in der Regel sechs bis zwölf Monate. Komplexe Vermögensverhältnisse, anhaltende Erbenstreitigkeiten oder internationale Bezüge (Erben im Ausland) führen jedoch oft zu Verfahrenslängen von mehreren Jahren.
- Kosten: Die Kosten setzen sich aus den Gerichtsgebühren und dem Honorar des Notars (Gerichtskommissärs) zusammen. Diese sind gesetzlich geregelt (Gerichtskommissionstarifgesetz) und richten sich nach dem Wert des reinen Nachlassvermögens. Hinzu kommen können Kosten für Sachverständige, einen Verlassenschaftskurator oder den eigenen Rechtsanwalt.
Wie kann ein Rechtsanwalt helfen?
Als Rechtsanwältin für Erbrecht kann ich Sie umfassend beraten, wie Sie durch testamentarische Anordnungen die für Sie richtige Vorsorge treffen können. Ich unterstütze Sie dabei bei der rechtssicheren Formulierung von Testamenten, Vermächtnissen oder Erb- und Pflichtteilsverzichten und stelle dabei sicher, dass Ihre letztwilligen Verfügungen rechtsgültig sind und den Pflichtteilserfordernissen genügen.
Darüber hinaus bin ich Ihre starke Partnerin in der Erbauseinandersetzung: Ich berate und vertrete Sie bei der Geltendmachung und Durchsetzung von Pflichtteilsansprüchen, der strategischen Erstellung und Verhandlung von Erbteilungsübereinkommen sowie in gerichtlichen Auseinandersetzungen und Klageverfahren rund um das Erbrecht. Auch bei der Klärung von Fragen im Verlassenschaftsverfahren stehe ich Ihnen zur Seite
Manche Familiensituationen können erbrechtlich betrachtet sehr verstrickt sein. Bei Fragen zum Thema Erbrecht und Testament vereinbaren Sie gerne einen Termin für ein Erstgespräch.
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